Hallo allerseits,
Ich komme nun endlich dazu von der
Arbeit in meiner Schule zu berichten. In der ersten Woche sollte
eigentlich der alte Lehrer der sechsten Klasse den Unterricht
fortführen und ich zuschauen, damit ich weiss wie der Unterricht
dort so abläuft. Tatsächlich aber ist der Schulleiter kurzfristig
bis November nicht da, und dieser eine Lehrer muss jetzt Schulleiter
spielen. Ausserdem wird in der ersten Woche hauptsächlich die Schule
von den Schülern geputzt und der Stoff des letzten Terms wiederholt.
Insgesamt hat also in der ersten Woche eine ganze Stunde Mathe
stattgefunden. Am Montag dieser Woche wurde mir dann nochmal
tatkräftig geholfen und seit Dienstag habe ich nun den Spass mit den
60 Schülern. Die Altersspanne ist krass hoch in der Klasse, die
Jüngsten sind 12 und der Älteste 17. Ich bin übrigens 18 und
unterrichte eine sechste Klasse. Die Kinder wurden zum Teil deswegen
so spät eingeschult, weil sie zu hause einfach gebraucht wurden oder
niemand die Schulgebühren gezahlt hat. Niedlich anzuschauen sind sie
ja, wie sie zu dritt gequetscht auf den 22 Schulbänken hocken und
mich erwartungsvoll anstarren. Das ändert aber nichts daran, dass
wir ein noch grösseres Kommunikationsproblem haben, als ich
ursprünglich angenommen hatte. Die erste Herausforderung ergab sich schon als ich
nach ihrem Namen fragte. Typische Reaktionen waren: Mich fragend
anstarren, Kopf hinter den Armen verstecken oder lautlos die Lippen
bewegen. Und immer wenn ich näher kam, wurde noch leiser gesprochen.
Ich glaube daran sieht man, dass es für die Schüler nicht ganz
einfach ist, jetzt einen weissen Lehrer zu haben und die Unkenntnis
über einander eine ziehmlich grosse Barriere ist, die erstmal
überwunden werden muss. Ein weiteres Beispiel dafür ist, wenn ich
mit meinem Fahrrad in der Gegend unterwegs bin. Dann werde ich alle
paar Sekunden gegrüsst, mir wird nachgeschrien und Kinder rennen mir
hinterher. So eine Attraktion bin ich. Es gibt zwar einige andere
Weisse in der Stadt, aber die haben entweder keinen Grund in das
Armenviertel zu gehen oder sind meistens mit dem Auto unterweg.
Unglaublich also, dass ich auch ein ganz normaler Mensch bin und
laufen und Fahrrad fahren kann.
Also, wenn jemand wer kennt, der
Aufmerksamkeitsdefizite hat, sollte ihn einfach in den Flieger nach
einem sambischen Armenviertel setzten. Dort müsste er sich dann
pudelwohl fühlen.
Die Klasse gibt ein recht
gewöhnungsbedürftiges Bild ab. Mädchen mit säuberlichen
Schuluniformen sitzen neben Jungs, die regelrechte Lumpen anhaben.
Zum Glück ist es in Sambia echt heiss, weil so oft wie ich hier St.
Martin spielen müsste, geht einfach nicht. Ich habe selbst nicht
genug Kleidung um allen was gescheites zum Anziehen zu geben. Und
dabei gibt es auf dem Secondhandmarkt Hosen für umgerechnet einen
Euro.
Als ich aus menschlichen Gründen mal
die Schultoilette aufsuchen wollte, bin ich bis auf fünf Meter
herangegangen und dann angeekelt umgedreht. Ich befürchte, dass es
hier, wie es in dieser Gegend nun mal üblich ist, kein
Abwassersystem gibt, sondern einfach Löcher gegraben wurden, in
denen die Fäkalien vor sich daherleben. In den Wohnhäusern wird
normalerweise Maismehl drüber gekippt, was den Gestank echt gut
abdeckt. Diese Toiletten würde ich aber einfach als unmenschlich
beschreiben.
Meine Vorbereitungen für die
Schulstunden gebe ich morgens um sieben dem übrigens sehr netten
momentanen Schulleiter und dieser segnet sie ab. Bisher war er sehr
zufrieden mit mir. Dann bewachen wir die Schüler bis halb acht,
während sie den ganzen Schulhof und teilweise die Klassenzimmer
fegen. Eine 20-minütige Pause gibt es um zehn nach zehn. Um halb
eins ist die Schule dann aus und ausgewählte Schüler kehren und
putzen wiederrum das Klassenzimmer. In dieser Zeit war es mir bisher
nicht möglich mehr als 3 Fächer zu unterrichten, da einfach alles
unglaublich lange dauert. Das liegt hauptsächlich an den
sprachlichen Mängeln. Ein paar sprechen fliessend und verstehen sehr
gut Englisch, können es auch schreiben. Die meisten eher gebrochen.
Aber um einzelne mache ich mir echt Gedanken, weil ich sie noch so
gut wie kein Wort habe sprechen hören.
Der erste richtige Schock traf mich,
als ich feststellen musste, dass niemand in der Klasse dazu fähig
ist, schriftlich zu dividieren. Und das, obwohl sie es vor ein paar
Monaten gelernt haben sollten.
Auch war es mir nicht möglich einen
Satz zu diktieren, da niemand wusste was er aufschreiben soll. Jedes
Wort musste einzelnd buchstabiert werden. Jedoch wurden einfachste
Worte wie „because“ oder „they“ teilweise falsch
buchstabiert. Auch konnten mir einfachste Fragen über eine
Geschichte, die ich mehrmals langsam vorgelesen habe, nicht
beantwortet werden. Die Antworten müssen vordiktiert und an die
Tafel geschrieben werden, nur so hat der Unterricht Erfolg.
Das mag sich jetzt vielleicht alles
danach anhören, dass die Schüler einfach geistig nicht dazu in der
Lage wären zu lernen, dem ist aber natürlich nicht so. Die Ursache
des Problems ist einfach, dass sie keine Bücher besitzen. Ich meine,
wie soll ein Kind lesen lernen oder üben, wenn es weder zuhause noch
in der Schule Schulbücher verwenden kann? Zum von der Tafel
abschreiben, braucht man kein Englisch können und die Mehrheit lernt
es davon auch nicht. Dazu kommt noch, dass die schwachen Schüler
aber nicht Wort für Wort abschreiben, nein, nach zwei Buchstaben
muss an die Tafel geschaut werden, weil die Wörter oder deren
Bedeutung einfach nicht gekannt werden.
Ich als Lehrer besitze die einzigen
Bücher. Nach dem ersten Tag bin ich nach Unterrichtsschluss in der
Lehrmittelfreiheit gegangen um zu prüfen wie viel Bücher da sind.
Aus der unvorhandenen Ordnung, die in den zwei Schränken herrscht,
konnte ich 6 Mathe- und Englischbücher entzaubern. 6 Bücher für 60
Schüler. Weder die Schüler noch die Schule hat ausreichend Geld um
ansatzweise ausreichend Bücher für die Klasse zu kaufen.
Viele der Schüler sind zwar auf dem
Papier in der sechsten Klasse, sollten es meiner Meinung nach aber
auf keinen Fall sein. Wenn sie jetzt noch nicht gescheit lesen und
schreiben können, oder ihnen Grundrechenarten fremd sind, wie sollen
sie nächstes Jahr ihren Abschluss machen? Und dann werden sie
entlassen ohne je wieder eine Schule zu besuchen? Und wie soll ich
ihnen denn überhaupt den Stoff der sechsten Klasse näherbringen,
wenn sie die nötigen Vorkenntnisse nicht besitzen und mich nur kaum
verstehen?
Das deutsche System mit dem
Sitzenbleiben kommt mir um einiges sinnvoller vor, als einfach jeden
mit zu schleppen, wie es hier gemacht wird. Auch wenn es für die, die
es betrifft natürlich lästig sein muss alles zu wiederholen, falls
man nur in einem Fach schlecht war. Aber die Defizite werden ja nicht
gerade kleiner vom Ignorieren.
Ein weiteres Problem ist, dass mir in
der letzten Wochen mehrfach die Schüler eingeschlafen sind. Ich
nehme das mal nicht als Beleidigung meines Unterrichts auf, sondern
höre auf den Schulleiter, der meinte, es liege daran, dass viele
Schüler bis spät abends und auch morgens in der Früh zuhause
arbeiten müssen. Viele leben bei Verwandten, da ihre Eltern
teilweise oder ganz schon verstorben sind und müssen daher mehr als
sonst zuhause arbeiten. So können sie sich in der Schule aber
natürlich nicht gescheit konzentrieren.
Positiv überrascht hat mich
dagegen der liebevolle Umgang der Lehrer mit den Schülern. Anstatt
dem distanziertem Schüler-Lehrer-Verhältnis wie man es aus deutschen Schulen kennt, herrscht hier eher
eine freundschaftliche Atmosphäre. Es wird gesungen und gespasst.
Rohrstöcke bzw. -schläuche sind zwar vorhanden und werden manchmal
in der Hand gehalten, aber ich habe bisher nicht den Eindruck, dass
sie benutzt werden. Die Anwendung von körperlicher Gewalt an
Schülern ist auch von von staatlicher Seite verboten, wird aber generell
trotzdem praktiziert, wenn man meinem Gastbruder Glauben schenkt, der
wohl schon Einiges abbekommen hat.
Auch wenn man heutiger
Blogeintrag eine sehr negative Sicht der Dinge wiederspiegelt, darf man aber nicht
vergessen, dass diese Schule kein Geld vom Staat oder anderen
Spendenquellen bekommt. Nur die Gemeinde, die selbst aus diesen armen
Menschen besteht, versucht die Schule zu finanzieren und muss sich
natürlich selbst mit Geldproblemen auseinandersetzten. Die Lehrer
arbeiten hier für einen Hungerlohn, um den Unterricht möglich zu
machen. Gäbe es diese Schule nicht, würde der Grossteil dieser 400
Schüler überhaupt keine Chance auf Bildung haben.
Ich habe einfach meine
momentanen Eindrücke niedergeschrieben und auf Euphemismen
verzichtet, da mich diese Situation doch manchmal echt nachdenklich
stimmt. Dann tut es aber gut, mit meiner Gastmutter oder den anderen
Freiwilligen vor Ort drüber zu reden oder sich abzulenken.
Das hat den Nebeneffekt,
dass ich mich hier zunehmends wohler fühle.
Also, ich hoffe ihr habt
euch bis hierhin durchgebissen, Bilder gibt’s diesmal leider keine, da ich
mein Kameraladegerät in Deutschland gelassen habe. Mal schauen wie
ich das regele.
Macht's gut, schöne Grüsse an alle
Martin